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«Viele Menschen fühlen sich bedroht und perspektivlos»

 

«Viele Menschen fühlen sich bedroht und perspektivlos»

Artikel von Christina Pirskanen

 

Geht es nach den Einschätzungen von Schweizerinnen und Schweizern, wird unsere Zukunft düster. Studienautor und Zukunftsforscher Andreas Krafft erklärt, was dahintersteckt.

Herr Krafft, die Schweizerinnen und Schweizer blicken zunehmend pessimistisch in die Zukunft – weshalb?

Während die meisten Menschen in Bezug auf ihr persönliches Leben grundsätzlich optimistisch sind, belastet die globale Unsicherheit in Zusammenhang mit den Kriegen, den politischen Krisen in Europa und den USA sowie mit den wirtschaftlichen Hiobsbotschaften aus dem Ausland die Stimmung. Die negativen Nachrichten dominieren in den Medien und viele Menschen fühlen sich bedroht und perspektivlos.

«Je bedrohlicher die Welt erscheint, desto stärker schalten viele Menschen auf den sogenannten Überlebensmodus um und desto weniger setzen sie sich für mehr Solidarität und Gemeinschaft ein, was aber dringend notwendig wäre.»

Eine Mehrheit sieht eine düstere Welt in 20 Jahren – was macht das mit den Menschen?

Die langfristigen negativen Aussichten haben einen direkten Einfluss auf die individuelle und gesellschaftliche Stimmung in der Gegenwart. Auf persönlicher Ebene fragen sich viele junge Menschen, ob sie überhaupt eine Familie gründen sollen, ob sich eine höhere Ausbildung noch lohnt und wofür sie sich engagieren sollen. Je bedrohlicher die Welt erscheint, desto stärker schalten viele Menschen auf den sogenannten Überlebensmodus um und desto weniger setzen sie sich für mehr Solidarität und Gemeinschaft ein, was aber dringend notwendig wäre.

Im internationalen Vergleich schneidet die Schweiz ebenfalls pessimistischer ab …

Ja, reiche Länder sind der Zukunft gegenüber pessimistischer eingestellt, als die Länder, die momentan leiden. Weil diese Länder trotz Krisen und Kriegen optimistischer in die Zukunft blicken, gibt das ihnen eine positivere Grundhaltung. Diese Länder, die schon mitten in der Krise stecken, zeigen uns, wie wichtig es ist, nicht aufzugeben oder sich der Niedergeschlagenheit hinzugeben.

Gleichzeitig ist das Wohlbefinden in der Schweiz gestiegen – wie passt das zusammen?

Das ist ja das Paradoxe. Auf der einen Seite geht es den meisten Menschen in der Schweiz nach wie vor sehr gut. Besonders nach der Pandemiezeit ist 2024 für viele Menschen ein gutes Jahr gewesen. Auf der anderen Seite werden die weltweiten Krisen immer schlimmer und bedrohlicher. Das erzeugt eine negative Grundstimmung, à la «das wird ja alles immer schlimmer». Zudem lassen wir uns von Negativem schneller beeinflussen als von Positivem – der sogenannte Negativität-Bias. Dieser ist aktuell besonders aktiviert.

Viele sagen, sie seien bereit, mehr gegen den Klimawandel zu unternehmen – trauen dies aber nicht ihren Mitmenschen zu. Woher dieses Misstrauen?

Viele Menschen haben den Eindruck, man könne gegen den Klimawandel noch mehr tun. Der Einzelne fühlt sich aber persönlich eher hilflos oder ohnmächtig. Dies führt dazu, dass kaum jemand etwas unternimmt, obwohl man grundsätzlich dafür bereit wäre, insbesondere wenn man sich über den Ernst der Lage bewusst ist. Zudem hat sich eine allgemeine Ermüdung breit gemacht, die eine gewisse Gleichgültigkeit oder ein Desinteresse zur Folge hat. Nach dem Motto «was ich nicht ändern kann, interessiert mich auch nicht.

Die allermeisten Menschen verstehen die neue Technologie nicht, haben den Eindruck, diese nicht kontrollieren zu können, und fühlen sich vielleicht damit überfordert.

Künstliche Intelligenz schürt bei einem Grossteil der Befragten Ängste – warum?

Sehr einfach: Die allermeisten Menschen verstehen die neue Technologie nicht, haben den Eindruck, diese nicht kontrollieren zu können, und fühlen sich vielleicht damit überfordert. Dies erzeugt Unsicherheit und somit Unbehagen. Zudem sind wichtige Grundbedürfnisse der Menschen der Wunsch nach Selbstbestimmung (anstatt Bevormundung), nach Kompetenz (anstatt Überforderung) und nach sozialen Bindungen (anstatt Entfremdung). Wenn die Menschen spüren, dass die KI die Entscheidungsfreiheit, die individuellen und gemeinsamen Fähigkeiten sowie das Zusammenleben verbessert, würden sie die Technologie auch viel schneller akzeptieren. Empfinden die Menschen jedoch, dass ihnen etwas auferlegt wird – etwa durch die Unternehmen oder die Politik –, lehnen sie es eher ab.

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